Fehlurteile, die Schicksale vernichten

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Fehlurteile, die Schicksale vernichten

Die Schicksalsgöttin Fortuna wurde schon von den Römern gleichermaßen verehrt wie gefürchtet, galt sie doch als besonders wankelmütig und launisch. Auch wenn heutzutage niemand mehr der Mythologie vorzeitlicher Götter Glauben schenkt, weiß man um die Macht des Schicksals. Jederzeit und ohne Vorwarnung kann es unser Leben ohne unser Zutun oder gar eigenes Verschulden aus der Bahn werfen.

Nicht nur Krankheiten, Unfälle, unverschuldete Arbeitslosigkeit auch Gerichtsurteile können sich als Schicksalsschläge mit dramatischen Folgen erweisen. Das mussten Horst Arnold, fünf Jahre unschuldig weggesperrt, Karriere und Gesundheit zerstört und inzwischen verstorben, Harry Wörz, viereinhalb Jahre unschuldig weggesperrt und seit Jahren im mühsamen Kampf um Wiedergutmachung verstrickt, Gustl Mollath, grundlos sieben Jahre in eine geschlossene Anstalt gesperrt, Claudia Mühlhölz, monatelang in eine Psychiatrie eingewiesen, besonders schmerzvoll erfahren.

Bei meinen Recherchen bin auch ich auf solche Fälle gestoßen, zugegeben weniger spektakulär, aber dennoch ein Beweis dafür, dass sich Fehlurteile als dramatische Schicksalsschläge erweisen können. Ein solcher Fall ist Hubert Hümme, ein Landwirt aus dem beschaulichen Schleswig-Holstein, dem Land zwischen Nord- und Ostsee, bei Touristen für seine Sandstrände, seine Inseln und idyllischen Seen beliebt. Dort ist seit vier Generationen der landwirtschaftliche Betrieb der Familie Hümme angesiedelt. Kein industrieller Großbetrieb, sondern ein typisch mittelständischer Familienbetrieb mit 40 ha Ackerland und Schweinezucht. Auch wenn die Gewinne nicht exorbitant waren, konnte sich das Ehepaar Hümme einen Angestellten leisten und war zuversichtlich, dass der Betrieb auch in fünfter Generation bestehen würde. Einer der Söhne durchlief eine landwirtschaftliche Ausbildung und schickte sich an, später den Betrieb zu übernehmen. Als ein Schwein erkrankte, dachte sich niemand etwas dabei. Auch der behandelnde Tierarzt nicht. Er verabreichte Antibiotika, auf immunologische und biologische Untersuchungen verzichtete er. Eine verhängnisvolle Fehlentscheidung, die dazu führte, dass weitere Schweine erkrankten. Eine unheilvolle Spirale setzte sich in Gang: immer mehr Tiere verendeten, immer weniger Schweine konnten verkauft werden, es kam zu Liquiditätsproblemen und die Hausbank stellte Kredite fällig. Dem Landwirt blieb keine andere Wahl, er musste große Teil seines Ackerlandes verkaufen und den Schweinebetrieb beziehungsweise das, was davon noch übrig war, verpachten. Obwohl der behandelnde Tierarzt Behandlungsfehler einräumte, weigerte er sich, dem Landwirt Schadensersatz zu bezahlen. Dies wäre Sache seiner Versicherung gewesen, die dem Geschädigten ebenfalls die kalte Schulter zahlte. Hümme klagte auf Schadensersatz, die zwingende Voraussetzung, den Familienbetrieb zu erhalten. Das Landgericht gab seiner Klage zwar statt, wollte ihm aber nur einen Teil der geforderten Schadenssumme zugestehen. Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein setzte noch eins drauf. Zwar stellte es in seinem Urteil fest, dass die Klage des Landwirts wegen eines tierärztlichen Behandlungsfehlers berechtigt sei, sprach ihm aber den lächerlichen Betrag von gerade mal 24 268,34 Euro als Schadensersatz zu. Das Gericht bezog sich auf ein Gutachten einer Tierärztin, die für 45.000 Euro zwar 500 Seiten Papier produziert hatte, als vereidigte Gutachterin für die ökonomische Bewertung nach vorliegenden Erkenntnissen vermutlich nicht einmal eine Zulassung hatte und weit unter den von anderen Gutachtern ermittelten Schadensersatzbeträgen (400.000 Euro) geblieben war. Was ausgerechnet eine Tierärztin qualifiziert, Gutachten zu ökonomischen Sachverhalten der Schadensermittlung zu erstellen, bleibt das Geheimnis der Richter beim Oberlandesgericht Schleswig-Holstein.

Für Hümme bedeutete die abstruse Entscheidung das Aus. Ob die Richter sich jemals Gedanken gemacht haben, was sie mit ihrem Urteil angerichtet haben? Alles was das bisherige Leben des Landwirts und seiner Familie ausgemacht hatte, war mit einem Schlag weg: Der landwirtschaftliche Betrieb, der der Familie in vierter Generation gehörte und mit dem die Familie sich identifizierte, die berufliche und finanzielle Existenzgrundlage und zu guter Letzt auch noch die in Jahrzehnten durch fleißige Arbeit angesammelten Ersparnisse. Am schlimmsten aber wog für den Landwirt der Verlust von dem, was sein Leben wesentlich geprägt hatte, die Erwartung, den eigenen Betrieb auch an die nachfolgende Generation weitergeben zu können.

Der Landwirt arbeitet heute als Lohnarbeiter in seinem eigenen Betrieb, den zu verpachten er gezwungen war. „Was einen treffen kann, kann jeden treffen“ hat Seneca über das Schicksal gesagt. In der Tat, dass Existenzen vernichtende Fehlurteile jeden von uns treffen können, habe ich an Hand weiterer Beispiele beschrieben. Nicht unerwähnt lassen möchte ich aber auch, dass Fortuna in Gestalt einer Gerichtsgöttin mir wohlgesonnener war als Hümme und anderen Justizgeschädigten. In meinem Fall hat das Oberlandesgericht Celle mehrfach Fehlurteile aufgehoben und insbesondere verhindert, dass der Grundbesitz, an dem ich jahrzehntelang mitgewirkt hatte, mir auf Dauer entzogen und unter staatliche Aufsicht gestellt wurde.

Letzte Änderung amSonntag, 12 Juli 2015 17:36 Gelesen 1175 mal

2 Kommentare

  • Patricia Johns
    Patricia Johns Donnerstag, 16. Juli 2015 19:20 Kommentar-Link

    für Hunde gibt es mittlerweile den Wesenstest; ich denke, für Richter, Staatsanwälte und Insolvenzverwalter und nicht zu vergessen unsere Politiker sollte das unbedingt eingeführt werden. Ein unabhängiges Gremium von Sachverständigen und Bürgern sollte die Gutsherrenmanieren beschneiden dürfen, dass es richtig wehtut und Verfehlungen sollten mit hohen Geldbußen geahndet werden.
    Liebe Frau Raddatz, passen Sie bloß gut auf sich auf, dass Sie nicht irgendwann entsorgt werden, wenn Sie den Finger immer so in die Wunde legen. Vielleicht sollten sich die Entrechteten einmal zu einem Stammtisch zusammenschließen. es würden sicherlich immer mehr Betroffene den Mut finden, gegen die Windmühlen zu kämpfen.

  • Uli Pape
    Uli Pape Dienstag, 14. Juli 2015 20:04 Kommentar-Link

    Ich kenne den Fall Hümme seit vielen Jahren. Wir haben darüber im Fernsehen berichtet, im Radio, in Zeitungen und Magazinen. Was ist passiert? Nichts. Dabei schreit diese Ungerechtigkeit zum Himmel. Wir waren in Gerichten in Lübeck, in Schleswig, sogar in Karlsruhe. Der Hümme hat Recht, war die einhellige Meinung, aber er bekommt es nicht. Weil es Anwälte gibt, die auf ihr Honorar schielen, Richter, die sich hinter Gutachten verstecken, und Tierärzte, die lügen und die Wahrheit betrügen. Arme Familie Hümme, seit Jahren kämpfen sie um Gerechtigkeit und alle Tatsachen sprechen für sie. Aber sie sind ja nur Bauern, nein, sie sind Menschen, die Tiere pflegen und an einen bösen Tierarzt geraten sind. Kein schöner Gedanke, dass ein Mann wie Hümme in die Mühlen der Justiz geraten ist, weil sein Tiere krank wurden und von einem gewissenlosen Tierarzt in den Ruin getrieben wurde.
    Danke, dass es diesen Blog gibt, der mit Herz und Verstand diesen Fall aufnimmt. Danke auch an Hubert Hümme, der viele Jahre kämpft gegen das Unrecht. Irgendwann wird er Recht bekommen, denn es gibt mehr als Paragraphen und Gutachten. Es gibt die Wahrheit.
    Uli Pape

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