Verwaltungsgericht Hannover- zwischen Fiktion und Märchenwelt

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Verwaltungsgericht Hannover: zwischen Fiktion und Märchenwelt

Dürfen Richter lügen? Diese provokante Frage stellte die altehrwürdige Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) im Oktober 2009 und beklagte in einem Kommentar zu einem Arbeitsrechtsprozess mangelnde Sensibilität des beteiligten Richters.
Dass Prozesslügen bei niedersächsischen Gerichten offenbar zunehmend salonfähig werden - Gottlob keineswegs bei allen Gerichten -, habe ich in meinem Blogbeitrag vom 16. Juni beschrieben. Doch was tun, wenn selbst Richter bei ihrer Urteilsfindung vorübergehend in die Märchenwelt abtauchen und sich die Gepflogenheiten des Barons von Münchhausen zu eigen machen? Der vor 300 Jahre in dem beschaulichen Weserstädtchen Bodenwerder geborene Freiherr war zwar ein durchaus sympathischer, umgänglicher Zeitgenosse, zur Wahrheit allerdings hatte er ein überaus gestörtes Verhältnis. Beim Lesen des Beschlusses der 10. Kammer des Verwaltungsgerichtes Hannover in der Verwaltungsrechtssache des Kaufmanns Olaf Mertins gegen die Staatsanwaltschaft Hannover vom 13. Mai 2015 – AZ 10 A 12497/14 - drängte sich mir unwillkürlich die Frage auf, ob die Richter der Kammer womöglich die Robe gegen das Kostüm des Lügenbarons getauscht haben könnten. Mit diesem Beitrag, auch aufgrund des großen Interesses am Fall des vermeidlichen Bombenattentäters in meinem Blog, möchte ich einige Richtigstellungen in eigener Sache vorbringen.

Richtigstellung Nummer 1: Die Richter der 10. Kammer stellten fest, dass es der Antragsteller Olaf Mertins selbst war, der die Buchautorin Bettina Raddatz von seinem Fall benachrichtigt hatte. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Ich selbst bin bei meinen Recherchen auf den Fall des sogenannten Bombenattentäters gestoßen und auf den Kaufmann zugegangen.

Richtigstellung Nummer 2: Die Richter der 10. Kammer behaupteten darüber hinaus in ihrem Beschluss, dass die Autorin eine Anfrage an die Staatsanwaltschaft Hannover richtete, da sie neben anderen Fällen in eigener Sache recherchierte und hierzu ein persönliches und vertrauliches Gespräch beim Leitenden Oberstaatsanwalt Dr. Jörg Fröhlich erhielt. Richtig ist, dass sich meine schriftliche Anfrage zu meinen Buchrecherchen ausschließlich auf die Fälle Dritter bezog, mein Fall fand in der Anfrage keine Erwähnung. Es ist auch abwegig anzunehmen, dass ich in meinem eigenen Fall Recherchen bei der Staatsanwaltschaft durchführe. Dass zwischen einer offenbar nicht bearbeiteten Strafanzeige und Buchrecherchen ein himmelweiter Unterschied besteht, sollte auch das Verwaltungsgericht wissen. Auch war aus meinem Schreiben an die Staatsanwaltschaft unschwer zu ersehen, dass es um Recherchen für ein Sachbuch ging.

Richtigstellung Nummer 3: Die Richter behaupteten, dass die Autorin ausschließlich Publikationen verfasst, die nur der Unterhaltung und dem Vergnügen der Leser und somit nicht der Meinungsbildung und Aufklärung dienen. Es gehe ihr darum, spannende Romane zu schreiben. Auch bei dieser Feststellung hatte die Phantasie offenkundig Vorrang vor der Faktenlage. Aus meiner Anfrage an die Staatsanwaltschaft Hannover ging zweifelsfrei hervor, dass die Recherchen im Fall Mertins und den beiden anderen Fällen einem geplanten Sachbuch dienen und keinem vergnüglichen Roman. Auch war auf meiner vom Gericht zitierten Internetseite nachzulesen, dass ich neben im Beschluss erwähnten Romanen das im Campus-Verlag erschienene Sachbuch „Treu & Glauben – hinter den Kulissen eines Wirtschaftsskandals“ verfasst habe.

Hätte das Gericht sich an die Fakten gehalten, wäre der Beschluss vermutlich anders ausgefallen; denn bei Auskünften von Staatsanwaltschaften gegenüber Sachbuchautoren, deren Werke dazu bestimmt sind, an der Meinungsbildung mitzuwirken und auch Kritik zu üben, sind strengere Maßstäbe anzulegen. Immerhin scheinen die Richter der 10. Kammer humorvoll zu sein. Sie zitieren zwar aus meinem Blog, stellen aber gleichzeitig fest, dass meine schriftstellerische Tätigkeit nur dem Vergnügen diene. Das spricht dafür, dass sie meine Blogbeiträge als vergnüglich empfinden. Mal sehen, ob das auch für die 6. Kammer des Landgerichtes Hannover gilt, die sich am 2. September mit dem Fall Olaf Mertins in einer mündlichen Verhandlung befassen wird. Ich bin gespannt und werde in der mündlichen Sitzung vor Ort sein und berichten.

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  • Ka. B.
    Ka. B. Donnerstag, 02. Juli 2015 09:20 Kommentar-Link

    Ich freu mich für Sie, Frau Raddatz, dass unter Ihren Lesern auch Richter und Staatsanwälte sind, auch wenn sich diese hier nur für Recherchezwecken aufhalten. Ihr Internet-Blog (und Ihr zukünftiges Buch) hat somit bei richterlichen Beschlüssen den gleichen Stellenwert wie die Entscheidungen des Bundesgerichtshofes.

    Leider finde ich als medizinische Angestellte während meiner Arbeit nicht ausreichend Zeit dafür, hier regelmäßig reinzuschauen, da meiner Berufsgruppe - wie vielen Tarifangestellten auch - ein entsprechende Privileg fehlt.

    Zukünftig werde ich aber die - durch die niedersächsischen Justizministerin tolerierte - transparente Arbeitsweise des Verwaltungsgerichtes übernehmen und die Richter und Staatsanwälte in unserer Praxis analog untersuchen. Als Untersuchungsbefund wird – anstelle der Begutachtung durch einen Arzt - die vollumfängliche Gesundheit des Juristen durch das Internet festgestellt. Eventuelle Beschwerde werden wir dann im Rahmen des medizinischen Berufungsverfahrens (Obduktion) berücksichtigen und kommentieren.
    Man kann von Glück reden, dass eine Arbeitslosigkeit bei den Richtern ausscheidet, da sich diese ansonsten auf dem Weg zum Jobcenter verlaufen würden.
    Bei allen sarkastischen Kommentierungen darf man nicht vergessen, dass der Sachverhalt über sechs Jahre andauert und sich die Gerichte seit Anfang 2011 damit beschäftigen. Es geht um ein angebliches Bombenattentat, welches im Rahmen einer internen Fehlkommunikation der Polizei Hannover fälschlicher Weise verbreitet worden ist. IPad-surfende Richter und Leitende Oberstaatsanwälte (Dr. Fröhlich), welche sich nicht mal an ihre eigenen Aussagen erinnern können, helfen hier nicht weiter.
    Schlechte Angestellte werden gekündigt, schlechte Manager gefeuert, schlechte Unternehmer gehen Pleite – schlechte internet-affine Richter bekommen eine Erledigungszahl und werden befördert. Die Ministerin kann mit einem Bleimantel keine Transparenz erreichen.
    Die 10. Kammer muss sich im Rahmen des von Ihnen erwähnten Befangenheitsantrages dienstlich äußern. Deshalb freue ich mich schon auf Ihren nächsten Bericht und hoffe, dass das die Richter des Verwaltungsgerichtes die dienstliche Äußerung nicht über Twitter (hashtag ich fühle mich nicht befangen) versehentlich verteilen.

  • K.W.
    K.W. Donnerstag, 02. Juli 2015 07:56 Kommentar-Link

    Sehr geehrte Frau Raddatz,

    eigentlich dachte ich, ich hätte schon alle Kuriositäten über diesen Fall in Ihrem Blog gelesen, aber auch in diesem Artikel kann man wieder neue Eindrücke über die Realität gewinnen.

    Zwar ist mir nicht bekannt, ob die Richter des Verwaltungsgerichtes den morgendlichen Dienstweg zur Arbeitsstätte auf einer Kanonenkugel zurücklegen, doch finde ich die Arbeitsweise der Richter befremdlich. Wenn ich Ihren Beitrag richtig verstanden habe, fand ein Gespräch zwischen Ihnen und Herrn Dr. Fröhlich (LOStA der StA Hannover) bezüglich einer Buchrecherche statt. Aber anstatt die anwesenden Personen als Zeugen zu befragen, haben die Richter der 10. Kammer im Internet gesurft, um eine gerichtliche Entscheidung vorzubereiten.

    Wenn in meiner Unternehmung während der Dienstzeit ein Mitarbeiter im Internet surft anstatt seine Arbeit vorschriftsmäßig zu erledigen, wird er gefeuert. Internet-Affine Richter - welche einer World-Wide-Web-Recherche einer Zeugenvernehmung den Vorzug geben - sollten sich eine Playstation kaufen und entsprechende "Games" (gern auch einen Ritt auf einer Kanonenkugel) programmieren. Mit Verlaub und allen Respekt für die Richterschaft, aber mit dieser Arbeitseinstellung würde in der freien Wirtschaft selbst die Betreibung eines Kiosks unverzüglich in die finanzielle Insolvenz führen, da es hier ein schützendes Richterprivileg nicht gibt.

    Als Besucher der mündlichen Verhandlung am 02. September 2015 stellt sich die Frage, ob diese am Maschsee stattfinden wird und die Berichterstatterin zeigt, wie sie auch über das Wasser laufen kann.

    Ihre Berichterstattung ist sachlich, kritisch und interessant. Trotzdem stellt sich die Frage, ob die Steuergelder der Bürger in Niedersachsen sinnvoll in ein internet-affines Richterprivileg investiert sind. Ich freue mich auf Ihren nächsten Beitrag.

  • TWS
    TWS Donnerstag, 02. Juli 2015 07:45 Kommentar-Link

    "Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit"

    Lügen vor Gericht ist strafbar!
    Dem, der vorsätzlich etwas Falsches ausgesagt hat, droht Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Das gilt übrigens auch bei falschen Angaben zur Person. Das Delikt heißt "Falsche uneidliche Aussage". Ein Grund mehr, unbedingt bei der Wahrheit zu bleiben! Bedenken Sie, dass "Gefälligkeitsaussagen" für Freunde oder Bekannte schwere Folgen nach sich ziehen können!
    Dem, der eine falsche Aussage gemacht hat, bleibt übrigens ein Ausweg: Die Berichtigung der falschen Aussage. Wenn er rechtzeitig bei einem Gericht, bei einem Staatsanwalt oder bei einer Polizeibehörde die Wahrheit zugibt, kann er milder oder gar nicht bestraft werden.

    Auszug aus:
    http://www.amtsgericht-cloppenburg.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=21878&article_id=79344&_psmand=145

    Herausgeber Niedersächsisches Justizministerium

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